Die Assimilierung der norwegischen Samen

Die  Assimilierung der norwegischen Samen

(Dieses Kapitel stützt sich im Wesentlichen auf den Artikel „Fornorskinga av samene – hvorfor, hvordan og hvilke følger” von Henry Minde. Eingefügte Ergänzungen anderer Autoren sind gekennzeichnet.)
Die norwegische Assimilierungspolitik lässt sich in zwei Hauptperioden einteilen, in die Missionierungsperiode und die Norwegisierungsperiode. Während der Missionierungsperiode vom frühen bis zum späten 17. Jahrhundert wurden die Samen zum Christentum bekehrt. Zu Beginn der Missionierung lernten die Missionare noch samisch, aber nach dem Tod Thomas von Westens (1682-1727) erfolgte die Missionstätigkeit auf norwegisch.
Die Norwegisierungsperiode wird gewöhnlich festgelegt als die Periode zwischen der Errichtung des Finnefondet 1851 und dem öffentlichen Widerstand gegen den Bau des Altastaudamms 1979-1981. (Johansen: 2006)

Übergangsphase ca. 1850 – 1870
Im jungen norwegischen Staat nach 1814 hatte die erste Generation von Beamten, die in Ausübung ihrer Ämter mit der samischen Bevölkerung in Kontakt kamen, deren Sprache mit der norwegischen Sprache gleichgestellt. Auf Grundlage der humanistisch – romantischen Strömungen dieser Zeit sah man es als Menschenrecht an, seine Muttersprache zu sprechen.
Gegenüber dieser „liberalen“ Sprachpolitik formierte sich jedoch zunehmend Widerstand.
Die Einrichtung des „Finnefondet“ 1851 markiert den Beginn der Politik der Norwegisierung der samischen Bevölkerung. Die Mittel dieses Budgets sollten einen Sprach- und Kulturwechsel unterstützen. (siehe auch Johansen) Zunächst waren die Samen der sogenannten Übergangsgebiete, also der Gebiete, in denen sich die samische Bevölkerung mit der norwegischen mischte, Ziel der Maßnahmen.

Konsolidierungsphase ca. 1870 – 1905
Gegen Ende der 1860iger Jahre begann man, die Norwegisierungsmaßnahmen zu verschärfen, da die bisherigen Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung zeigten. Waren die Maßnahmen bisher eher zivilisatorisch oder nationalistisch motiviert, werden sie nun sicherheitspolitisch begründet. Jetzt richteten sich die Maßnahmen auch gegen die Kvenen. Eine zentrale Rolle spielte eine Anordnung im Jahre 1880 an die Lehrer, die Kinder ausschließlich auf norwegisch lesen, schreiben und rechnen zu lehren. Wurden die gewünschten Resultate nicht erreicht, erhielten die Lehrer keine Lohnerhöhung. Eine weitere Verschärfung erfolgte mit dem Wexelsesdekret 1889, nun sollte der Gebrauch der samischen und kvenischen Sprache auf das äußerst Notwendige beschränkt werden und die Lehrer waren angehalten, die Kinder auch in der Freizeit am Gebrauch ihrer Muttersprache zu hindern. Samischen und kvenischen Lehrern schlug eine zunehmende Skepsis entgegen, die schließlich, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zu einem Berufsverbot auf Grund ihrer Ethnizität führte. Den Hintergrund bildeten die zunehmende Angst vor der „finnischen Gefahr“ und die nationale Erregung rund um die Unionsauflösung. Außerdem wurden mehrere Schulinternate in der Finnmark gebaut, um die Kinder von ihrem ursprünglichen Milieu zu isolieren und man testete neue effektivere pädagogische Methoden.

Kulminationsphase ca. 1905 – 1950
Der Beginn dieser Phase ist geprägt durch die Konsolidierung der eingeleiteten Entwicklung.
Samische Aktivisten wie Anders Larsen und Isak Saba opponierten gegen die Norwegisierung, ihrer Meinung nach war die Sprache der Lebensnerv eines Volkes und sie forderten gleiches Recht für Norweger und Samen „in unserem Land“. Es gab aber auch Samen, die der Meinung waren, man müsse die Hauptsprache des Landes lernen, wolle man weiterkommen, wie der samische Schriftsteller Matti Aikio: „Det moderne liv rykker nærmere og nærmere ind paa en, og det taaler ikke lappisk.”
Mit dem Versailler Frieden änderten sich die Grenzen auf den Nordkalotten. Norwegen hatte nun eine gemeinsame Grenze sowohl mit Finnland als auch mit Russland.
Nach der russischen Revolution verstärkte sich das Gefühl einer sicherheitspolitischen Bedrohung in Norwegen, aber nach einer kurzen Phase richtete sich die Aufmerksamkeit wieder auf die „Finnische Gefahr“. Die Zwischenkriegszeit ist geprägt von einer Politik der Abschirmung gegenüber Finnland und einer „inneren Offensive“ gegenüber Kvenen und Samen.
Die verschiedenen Instrumente wurden schließlich 1931 in einer gemeinsamen und geheimen Behörde zusammengeführt, dem Finnmarkausschuss. Diese Behörde markiert den Höhepunkt der norwegischen Assimilationspolitik, ebenso wie die zunehmende Verbindung von Minderheiten- und Sicherheitspolitik. Die Geheimhaltung kann als Reaktion auf die organisierte Opposition von Kritikern der Schulpolitik wie auch mit der Furcht vor großfinnischen Ambitionen erklärt werden.
Waren die Ziele der Norwegisierungsmaßnahmen während der Konsolidierungsphase wenigstens zum Teil auch wohlfahrtspolitisch begründet, treten nun rassenpolitische  Begründungen in den Vordergrund.1 Die „rassisch überlegenen“ Norweger haben nun die Aufgabe, die Samen zu zivilisieren, zusätzlich wird jetzt zwischen dem „Kulturvolk“ der Kvenen und dem „Urvolk“ der Samen unterschieden.

Abwicklungsphase ca. 1950 – 1980
Formell galten die Anordnungen des Wexelsesdekretes noch bis 1963 und wurden in einzelnen Gegenden auch bis in diese Zeit praktiziert. Es gab aber auch Bemühungen, die Entwicklung wieder rückgängig zu machen. 1949/50 bewilligte das Storting ein deutlich höheres Budget als die Jahre zuvor, um beispielsweise ein samisches ABC-Buch und zweisprachige Lehrbücher herauszugeben sowie Lehrer mit samischen Sprachkenntnissen einzustellen. (Aarseth 2006: 18) Insgesamt ist ein gestiegenes Interesse und Verantwortungs-bewusstsein gegenüber der Kultur der samischen Minderheit zu beobachten. Samische Organisationen gründeten sich bzw. gewannen größeren Einfluss und ihre staatliche finanzielle Unterstützung bewirkte eine Legitimierung des samischen kulturellen Lebens als interessant und wertvoll. (ebenda: 188)

Auswirkungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die staatlichen Bemühungen, die Samen und Kvenen zum Wechsel ihrer Sprache, ihrer kulturellen Grundwerte und ihrer nationalen Identität zu bewegen, sehr umfangreich, zielbewusst und langandauernd waren. (Johansen 2006: 48) Zu einem gewissen Grad konnte sich der staatliche Einsatz auf einen bereits existierenden Alltagsrassismus stützen, trug aber selbst zu einer massiven Abwertung derjenigen bei, die dieser Politik ausgesetzt waren. Das es während dieser Norwegisierungs – und Modernisierungsperiode zu bemerkenswert wenigen sozialen Unruhen kam, ist der Ohnmacht der einzelnen Individuen gegenüber einer übermächtigen staatlichen Verwaltung geschuldet.   
Resultat der Norwegisierungsmaßnahmen war die Marginalisierung in einem bedeutenden Grad. In den seesamischen Gebieten „verschwanden“ die Samen aus den Volkszählungen (siehe auch Johansen 2006: 50) und samische Interessen und ihre Identität als Berufsfischer wurde stigmatisiert. Ähnliche Resultate ergeben Studien über die nationale und regionale Renwirtschaft in Norwegen oder Regionalgesellschaften in Sør Troms und Ofoten. Man weiß, dass diese Form der Ohnmacht, welche die Minderheiten während der Norwegisierung erlebten, sozialpsychologische Konsequenzen hat. Auf der einen Seite werden verschiedene Verteidigungsmechanismen aktiviert, um sich dem sozialen Druck und den neuen Verhältnissen anzupassen, ist der Druck aber anhaltend und stark genug, wird ein Selbstbild geprägt, in dem der Respekt vor sich selbst und der Eigenwert untergraben ist und im schlimmsten Fall zu Selbstverachtung und einer übertrieben kritischen Einstellung anderen Gruppenmitgliedern gegenüber führt. Eltern unterließen es, ihre Kinder samisch zu lehren, um diesen die gleichen Stigmatisierungen zu ersparen. (Johansen 2006: 48)
Während die Norwegisierung bei denen, die der samischen Bewegung angehörten, oft Bitterkeit und Widerstand auslösten, war die Reaktion der „loyalen norwegischen Untertanen“ samischer Herkunft oft Scham auf Grund ihrer samisch sprechenden Vorfahren und Verwandten oder weil man es als Schüler nicht schaffte, gut genug norwegisch zu lernen. Sie selbst geringschätzten ihre samische Sprache und Herkunft. Henry Minde nimmt an, dass der „samische Schmerz“ bei dieser Gruppe, die so eifrig versuchten, sich dem Norwegisierungsdruck anzupassen, viel tiefer und traumatischer war, als bei denen, die sich widersetzten.  
Die Norwegisierungspolitik gegenüber den Samen und Kvenen wurde ihnen von Seiten der Behörden präsentiert als „zu ihrem eigenen Besten“. Ausgehend von dem Bild, welches die Beamten von den Minderheiten hatten, gab es keinen Grund, die Samen oder Kvenen zum Dialog und zur Einflussnahme einzuladen. Selbst wenn die Maßnahmen sozial oder wohlfahrtspolitisch motiviert sein konnten, wurden sie doch durch eine Ein-Weg-Kommunikation und Zwang realisiert.
Es gilt als relativ sicher, dass die Ziele der Norwegisierungspolitik in den Übergangsregionen erreicht wurden, auf jeden Fall im Hinblick auf den Sprachwechsel und zum Teil auch im Hinblick auf den Wechsel der Identität. Die Folgen dieses Prozesses wurden individualisiert und erzeugten zum Teil Scham: Öffentlich als Same wahrgenommen zu werden, war eine persönliche Niederlage. Das Bild des Norwegers vom authentischen Samen war verknüpft mit Armut. Tragkräftige Gegenbilder wurden erst möglich, als die moderne Samenbewegung große kollektive Aktionen ermöglichte. Die meist bekannten sind die Aktionen während des Kampfes gegen den Altastaudamm 1979 – 82, aber es gab auch eine Reihe lokaler Aktionen, die weniger öffentlich wurden.



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