Essen und Trinken in den norwegischen Volksmärchen von Asbjørnson und Moe

Essen und Trinken in den norwegischen Volksmärchen von Asbjørnson und Moe 


Die Volksmärchen zählen zu einer der ältesten Textgattungen überhaupt, eng verwandt mit den Mythen enthalten sie Elemente, die vermutlich Jahrtausende in die Geschichte der Menschheit zurückreichen. Seit der Romantik, als sie in Verbindung mit dem erstarkenden Nationalbewusstsein der verschiedenen Völker Europas zunehmendes Interesse erfuhren, wurden sie ausgiebig erforscht. 

Es existieren verschiedene Ansichten darüber, wie die Märchen entstanden sind. Die Vertreter der mythologischen Märchentheorie wie die Grimms und Herder gingen davon aus, dass Reste alter Mythen in den Märchen fortbestehen. Die Migrationstheorie geht davon aus, dass die Märchen ihren Ursprung in Indien hätten und durch Übersetzungen ins Persische und Arabische den Weg nach Afrika und schließlich auch nach Europa fanden. Hauptsächlich durch die Vertreter der Finnischen Schule wurde die geografisch-historische Methode entwickelt, die auf der Grundannahme beruht, dass der Typ einer Erzählung an einem bestimmten Ort entstanden sei (Monogenese) und sich dann durch Wanderbewegungen verbreitet habe (Diffusion). Anthropologische Theorien gehen wiederum von einer Polygenese der Entstehung von Märchen mit anschließender Evolution bei ihrer Verbreitung aus. 
Auch bei der Interpretation von Märchen wird von unterschiedlichen Ansätzen ausgegangen, je nachdem, ob man sie aus soziologischem, psychologischem, literaturwissenschaftlichem, pädagogischem oder historisch-volkskundlichem Blickwinkel betrachtet. 

Inzwischen gilt es als widerlegt, dass die heute bekannten Volksmärchen ein Produkt jahrhundertealter mündlicher Überlieferung sind. Sie teilen ihre Motive mit der griechischen oder nordischen Mythologie, mit mittelalterlichen Epen und nicht zuletzt auch mit der Bibel. 
Schriftlichkeit und Mündlichkeit existierten nebeneinander und beeinflussten sich gegenseitig. Auch die schriftliche Aufzeichnung und Verbreitung, wie z. B. der Kinder- und Hausmärchen der Grimms, wirkte auf die nachfolgende mündliche Weitergabe zurück, da sie einen bestimmten Märchenstil prägten. 

Inspiriert von der Sammlertätigkeit der Grimms konnten Asbjørnsen und Moe deren Vorgaben erfolgreicher umsetzen als die Grimms selbst: Während die Gewährspersonen der Grimms häufig dem Bildungsbürgertum entstammten, konnten Asbjørnsen und Moe auf Grund der weniger urbanisierten norwegischen Gesellschaftsstruktur Kontaktleute aus den untersten sozialen Schichten befragen. Allerdings glätteten auch Asbjørnsen und Moe den Stil und versuchten, mit Blick auf das eher bürgerliche Lesepublikum, einen narrativ und ästhetisch stimmigen Text zu gestalten. 
Trotzdem sei der Charakter der Sammlung eher derbe und volkssprachlich und damit näher an der ursprünglich erzählten Form als die Märchen der Gebrüder Grimm. Die Schlichtheit der Märchen komme auch im Erzählstoff zum Ausdruck, wenn z. B. die norwegischen Märchenkönige eher wie Großbauern erscheinen und man eine Prinzessin auch mal im Kuhstall antreffen könne, stellt Heinrich Dickerhoff in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe fest. 
In Norwegen sei das Bedürfnis, sich aus der Abhängigkeit Dänemarks zu befreien und ein eigenes nationales Bewusstsein zu entwickeln, sehr groß gewesen. Auch Asbjørnsen und Moe ginge es bei der Sammlung der Märchen um die Erkundung und Bewahrung des Eigenen, daher spielten landestypische Motive und Requisiten, aber auch die Ausdrucksweise, die Figuren und ihr Umfeld eine große Rolle, um die Identifikation zu erleichtern. Ein besonderes Spezifikum seien dabei die Trolle, macht Harald Müller deutlich. Ursprünglich im Volksglauben beheimatet (hier allerdings von unterschiedlichem Aussehen und für verschiedenste Bereiche zuständig) habe der Troll eine funktionale stereotype Umwidmung erfahren. Er wird nun eher den Menschen (besonders der Christenheit) gegenüber feindlich gesinnt aufgefasst und es komme ihm ein Machtpotential zu, welches über das menschliche Ermessen hinausgehe. Meist ist er groß, hässlich und besitzt Zauberkräfte. 

Essen, Trinken, die Zubereitung und der Verzehr finden auf unterschiedlichste Weise Eingang in die norwegischen Märchen, wie folgende Beispiele zeigen: 
Peik, der beschlossen hat, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, dass er andere zum Narren hält, kann dem König einen Lehmtopf verkaufen, in welchem man angeblich ohne Feuer Brei kochen kann. („Peik“) Ein Pfannkuchen flüchtet vor den Essern. („Pannekaken“) Eine Frau verwöhnt ihren Geliebten mit Rahmbrei, Fladenbrot, Butter und Branntwein, während ihr eigener Mann offensichtlich schlechteres Essen erhält. („Pål Andrestua“) Eine Frau kann es ihrem Mann nie recht machen bei der Hausarbeit und so schlägt sie vor, die Rollen zu tauschen. Am folgenden Tag frisst das Ferkel den Rahm, das Bierfass im Keller läuft aus, der nächste Rahm läuft in den Brunnen, die Kuh hängt zwischen Himmel und Erde und als diese von der Frau befreit wird, fällt der Mann in die kochende Grütze. („Mannen som skulde stelle hjemme“) Die riesige Prinzessin isst eine Schüssel mit Brei, als sie einen Löffel davon in die geschmolzene Butter tunken will, stößt sie aus Versehen ihren Mann, den Däumling, an und er ertrinkt im Buttersee. („Tommeliten“) Fünf Frauen brüten ein Gänseei aus, dass Kind darin murmelt „Hering und Brei, Grütze und Milch“ und vertilgt später unglaubliche Mengen an Nahrung. („Mumle Gås-egg“) Ein Reisender bittet um die Erlaubnis, übernachten zu dürfen. Er muss sich bis zum siebenten Vater durchfragen, dann jedoch wird ein Tisch hereingetragen, „voll mit den herrlichsten Gerichten und Bier und Branntwein“. (Den syvende far i huset“) Nachdem der Nordwind einem Jungen dreimal das Mehl für den Mittagsbrei weggeblasen hat, macht sich der Junge auf den Weg und verlangt Wiedergutmachung. Er erhält ein Tuch, das alles herbeischaffen kann, was er sich wünscht. (Gutten som gikk til nordenvinden og krevde igjen melet“) Der Herrgott und St. Peter verwandeln Kieselsteine in Erbsen. („Vårherre og St. Peter på vandring“) Ein gefangener Heilbutt gibt Anweisungen zu seinem Verzehr, die Folge sind mehrere Zwillingsgeburten. („Fiskersønnene“) 
Diese Auflistung ist nicht vollständig, vermag aber einen ersten Eindruck zu vermitteln, in welch vielfältigen Zusammenhängen Nahrung eine Rolle spielt. 

Werden Speisen explizit benannt, sind sie regionaltypisch, es gibt auffallend viel Grütze bzw. Brei und der Kessel zum Brauen von Bier gehört anscheinend zur Ausstattung jeder größeren Küche. Es lässt sich eine Hierarchie der Speisen beobachten: Während Bier ein gewöhnliches Getränk ist, gibt es zu besonderen Gelegenheiten Branntwein, noch seltener wird Wein erwähnt. 
Wenn der Ehemann früher nach Hause kommt und voller Erstaunen Rahmgrütze, Lefse, Butter und Branntwein auf dem Tisch vorfindet, ist das ein Hinweis darauf, dass er dieses Gericht keinesfalls täglich zu essen bekommt. Hier ist das Essen auch als Ausdruck des Gefühlslebens der Frau zu sehen, es wird – für das Volksmärchen typisch – nicht gesagt, dass sie den Nachbarn viel lieber hat, sondern es lässt sich daraus schließen, was jeweils dem Ehemann oder dem Liebhaber aufgetischt wird, getreu dem Motto: Liebe geht durch den Magen. 
Wenn die Wirtin dem Jungen das Tuch stiehlt, welches alle Speisen hervorzaubern kann und es tauscht gegen eines, welches „nicht mal Haferlefse auf den Tisch bringen könne“, dann stand dieses Gericht wohl nicht ganz oben auf der Beliebtheitsskala. 
Hin und wieder scheint sogar durch, wie die Speisen verzehrt wurden, wenn z. B. der Köhler mit Hilfe des Fladenbrotes die Fleischsoße aufnimmt oder der Löffel mit Brei in die Mulde mit der flüssigen Butter getunkt wird. 
Betrachtet man alle Erwähnungen von Nahrung und seiner Zubereitung, fallen bestimmte Häufungen auf: 

1. Hunger und Armut als Auslöser der Märchenhandlung
Der Mangel an Nahrung ist so häufig Auslöser für die Handlung, dass man schon fast von einer festen Einleitungsformel sprechen kann: „Es war einmal eine Frau, die hatte sieben hungrige Kinder ...“, „Es war einmal ein armer, armer Witwer ...“, „Ein anderes Mal kamen der Herrgott und St. Peter zu einer Frau, die war so arm, so arm. Sie hatte keinen Essenskrümel für ihre Kinder und die waren so hungrig und jammerten und weinten ...“. Diese Liste ließe sich fortsetzen. 
Nicht selten korrespondiert der Hunger im Märchen mit später reich gedeckten Tischen. 
Dieser Gegensatz ist einerseits dem Stil des Märchens geschuldet, denn das Märchen liebe die Extreme, macht der Märchenforscher Lüthi deutlich. Aber auch die Wunscherfüllung spielt hier eine Rolle. 
Die Struktur der Märchen ist von Freud und Jung verglichen worden mit der Struktur des Traums. Es bestehe eine stilistische Ähnlichkeit durch die Aneinanderreihung von Motiven und beide sprächen die gleiche Symbolsprache. Träume seien im Wesentlichen durch Wünsche angeregt, welche dann in ihrer Erfüllung dargestellt würden. (Hunger kann z. B. Träume vom Essen hervorrufen.) Max Lüthi lehnt es zwar ab, das Märchen „nur als Wunschtraum, Ersatzbefriedigung oder gar als Phantasiekonstruktion des Neurotikers zu sehen“, kann aber ebenfalls nicht verkennen, dass „der Wunsch in verschiedenen Formen – vom materiellen Tischleindeckdichdenken über sexuelle Wunschbilder bis hinauf zum Wunsch nach einer sinnvollen Welt – im Märchen eine bedeutsame Rolle spielt.“ 

Wie Speisen und Getränke innerhalb eines Märchens zum Einsatz kommen, hat also einerseits erzähltechnische Gründe. Da der Hunger aber eine so häufige Erwähnung findet, muss es dafür Ursachen geben. 
Freud hat erkannt, „dass sich häufige und generationsweise erlebte Dinge des Ich in Elemente des Es umwandeln und so vererbt werden können. Personelle Erlebnisse, die große Menschenmengen beträfen, können im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung das Bewusstsein der betreffenden Menschen strukturieren.“ 
Im System der Ernährung zähle der Hunger zu den prägendsten Faktoren überhaupt, stellt Gunter Hirschfelder fest. Hunger ist immer ein Thema, sei es regional durch Missernten, schichtenspezifisch oder nach Kriegsereignissen. 
Zwischen 1315 und 1317 gab es jedoch eine Periode, in der in Folge eines vorhergegangenen Bevölkerungswachstums und einer folgenden Klimaverschlechterung der Hunger ein europaweites und lang anhaltendes Problem darstellte, welches zahlreiche Opfer forderte. Der Hunger betraf alle Schichten der Bevölkerung, besonders aber die Bauern, die ca. 95 % der Bevölkerung ausmachten. In der Folge des Hungers wurden Kinder ausgesetzt oder getötet, auch Fälle von Kannibalismus wurden dokumentiert. Auch wenn einige Jahrzehnte später die Pest nochmals viele Opfer forderte, sei die Hungersnot durch die jahrelange Dauer und dem damit verbundenen jahrelangen Leiden für viele eine schlimmere Erfahrung gewesen. 

2. Kannibalismus
Treffen Menschen in den norwegischen Märchen auf Trolle, so äußern diese häufig: „Es riecht hier so nach Christenfleisch“. (Diese Äußerung wurde bei den Übersetzungen häufig in die im Deutschen übliche Redensart: „Es riecht hier so nach Menschenfleisch“ übertragen, damit gehe der Aspekt einer bestimmten Religionszugehörigkeit oft verloren, merkt Bresemann in seinem Vorwort an.) Es wird auch berichtet, dass ein Troll ausschließlich Jungfrauenfleisch esse und bis auf die Prinzessin bereits alle Jungfrauen des Landes aufgegessen habe. Smørbukk, welcher gekocht werden soll, gelingt es, die Trolltochter zu überlisten, statt seiner landet sie im Kessel und die Trolle essen unwissentlich ihr eigenes Kind. Es finden sich noch weitere Beispiele. 
Die Figur des Trolls in norwegischen Märchen wurde bereits kurz angesprochen. In der Enzyklopädie des Märchens findet sich der Hinweis, dass die einsam im Wald lebenden Trolle mit den europäischen Wilden Männern oder Wildmenschen Gemeinsamkeiten aufwiesen und das die Tatsache, dass sie außerhalb der Gesellschaft stünden, einen christlichen Aspekt enthalte, indem die Bedrohung durch den Wilden Mann oder Troll mit Erzählungen über den Teufel und die Gefahren eines Lebens außerhalb der christlichen Gemeinschaft in Zusammenhang gebracht wurde. Wenn diese Aspekte hineinspielen, wäre das vielleicht eine Erklärung für den ausgesprochenen Christenhass, der den Trollen im norwegischen Märchen zugesprochen wird. Gereon Janzing macht deutlich, dass die Kannibalismusmythe von jeher zur Abgrenzung gegen Fremdvölker diente. Viele Völker erzählten von Nachbarvölkern, sie äßen Menschenfleisch. 
Ein anderes Motiv im Zusammenhang mit Kannibalismus ist die Denunziation, Menschenfleisch gegessen zu haben. Auch dieses Motiv findet sich in den Märchen und die drohende Strafe ist der Tod durch Verbrennung. „Meine Königin soll brennen, denn sie ist eine Hexe und hat ihre Kinder gegessen“ sagt der König und tatsächlich gehören das Töten kleiner Kinder und Kannibalismus in den Katalog der Vorwürfe während der Hexenverfolgungen in Europa, sagt Dillinger. 


3. Totemismus im Märchen
Das Märchen „Die zwei Fischersöhne“ gehört zu einer weit verbreiteten Gruppe, in der zwei ähnliche Figuren zusammen die Rolle des sonstigen Helden übernehmen. Dieses Märchen enthält drei Mal das Motiv des Essens. Nach dem Genuss eines sprechenden Fisches kommt es zu mehreren wundersamen Schwangerschaften, ein Troll will Jungfrauenfleisch und es gibt ein Hochzeitsessen. 
Friedrich Panzer stellte 1926 fest, dass „viele Märchenzüge urtümlichen Glauben, urtümliches Denken und uralte Kulturzustände spiegeln. […] In Amerika und Australien“ sei „bei Völkern urtümlicher Kultur der Totemismus noch weit verbreitet, d. h. der Glaube, dass der Mensch vom Tiere abstamme. Reste solcher Vorstellungen“ seien „aber auch in den Überlieferungen der im urtümlichen Denken steckengebliebenen Unterschicht zahlreicher Kulturvölker noch lebendig. Aus diesem Glauben erwachsen dem Märchen vielfach gestaltende Motive. […] Totemistische Vorstellungen führen bei vielen Völkern zu Speisege- oder verboten, indem gewisse Tiere geschont oder aber umgekehrt verspeist werden, damit man mit dem Fleisch sich deren Eigenschaften zueigne. Statt der Abstammung vom Tiere findet sich im Märchen öfter die Angabe, der Held sei empfangen worden, nachdem die Mutter ein bestimmtes Tier, z. B. einen Fisch, genossen hatte.“ Auch Kurt Derungs weist darauf hin, dass totemistisch-schamanistische Frühformen im Zaubermärchen als Motive wiederkehren und dort die ältesten Schichten der Märchentypen und Varianten bilden. Inhaltlich gehörten zu dieser ältesten Kulturschicht die verwandtschaftliche Beziehung zum Tier, die Konzeption der Empfängnis als „übernatürliche“ Empfängnis einer Frau durch Kontakt verschiedener Seelenträger und der Wiedergeburtsglaube, welcher in Märchen als Rückverwandlung oder Entzauberung präsentiert wird. Alle diese Motive finden sich interessanterweise auch im Märchen „Die zwei Fischersöhne“: die magische Geburt nach dem Essen des Fisches, die verwandtschaftliche Beziehung zu Pferd und Hund, die vergrabene Lunge und Leber als Alter-Ego-Träger des Menschen, welche anfangen zu bluten, als der erste Bruder zu Stein verwandelt wird sowie die Entzauberung des versteinerten Bruders und seiner Helfer und weiterer Menschen und Tiere. 
(Auch andere Volksmärchen enthalten totemistisch-schamanistische Motive, erinnert sei hier an das Motiv des Tierbräutigams oder die zahlreichen tierischen Helfer. Das Tier erscheint ganz selbstverständlich gleichgestellt oder sogar überlegen, es ist noch nicht das unter dem Menschen stehende Wesen, welches beherrscht werden muss. Das müsse nicht zwangsläufig bedeuten, dass diese Texte direkt aus der Zeit des Totemismus stammen, aber Relikte solcher Weltanschauungen würden "bewusst oder unbewusst bis heute tradiert und prägen wohl einige unermessene Schichten des menschlichen Seelenhaushalts, so dass eine Verbildlichung  dieser Weltsicht auch noch sehr viel später statthaben konnte und kann". [...] Die totemistischen Zusammenhänge seien nicht nur sogenannten Naturvölkern und ihren Mythen und Märchen eigen, sondern auch Lebens- und Weltauffassungen der europäischen Volkskunde z. T. bis in die jüngste Vergangenheit", stellt Derungs fest.)



Im Bezug auf Märchen sind eindeutige Aussagen schwer zu treffen und manche Annahmen, wie mögliche historische Ursachen für einzelne Märchenmotive, können nur hypothetisch bleiben. 
Die Wahl der Speisen kann von der sozialen Wirklichkeit der Märchenträger abhängig sein. Es finden sich Könige und Prinzessinnen, die Grütze essen und diese These bestätigen. Und es gibt ebenso Beispiele für Festessen, für die tagelang gebacken, gebraten und gebraut wird. 
Man sollte auch annehmen können, dass die Auswahl der Speisen und Getränke als ein Produkt von Kultur auch Rückschlüsse auf die Entstehungszeit zulassen müsste. Aber Grütze, Brot, Fleisch und Bier gehören schon seit tausenden Jahren zum Speisezettel. 
Interessant ist, was nicht gegessen wird: die Kartoffel war in keinem der untersuchten Märchen zu finden. Dies muss jedoch nicht als Beleg für eine Datierung dienen, die mit der Einfuhr dieser Knolle aus Amerika zusammenhängt, es kann ebenso der bewussten Auswahl nationaltypischer Speisen geschuldet sein, die zu einer Identifikation mit dem Norwegischen beitragen sollte. 

Die Rolle der Mahlzeit ist sehr gut untersucht, aber viele Erkenntnisse aus der neueren Forschung konnten nicht zur Anwendung kommen, da es ein Merkmal des Märchens ist, dass nie mehr als zwei Figuren gleichzeitig interagieren und so finden sich auch keine Mahlzeitenschilderungen, sondern maximal ein Wettessen zwischen Held und Troll. 
Bestätigt hat sich folgende Erkenntnis von Martin Baier: „Speisen, ihr Verzehr und seine Folgen, Mahlzeiten und Zubereitungen haben Wirkungen auf eine Erzählung, die sie mit anderen Gegenständen der literarischen Darstellung teilen. Sie geben Erzählungen eine klare Form, stehen an geeigneter Stelle im Erzählgang, weisen voraus, hellen wichtige Voraussetzungen auf, spiegeln Vorgänge der erzählten Welt, bewerten Figuren und Ereignisse. Zum anderen aber ist die Wahl einer literarischen Gattung wichtig für die Wahl der Speisen, für den Umfang und die Art der Darstellung.“ 

Die Wahl der Speisen, der Umfang und die Art ihrer Darstellung unterliegen den charakteristischen Wesenszügen des Volksmärchens. Das Essen wird nur abstrakt dargestellt. Der abstrakt-isolierende, figurale Stil des Märchens ergreife alle Motive und verwandle sie, stellt Max Lüthi fest. Personen wie Dinge, (also auch das Essen), verlören ihre individuelle Wesensart, gleich ob es sich um profane, numinose oder magische Motive handle, seien alle Motive entleert. Ihnen fehle „Konkretheit und Realität, Erlebnis- und Beziehungstiefe, Nuancierung und Inhaltsschwere“. 


Bilder: Erik Werenskiold und Theodor Kittelsen 

"Samlede Eventyr", Norske Kunstneres Billedutgave
"Sämtliche Volksmärchen und Erzählungen aus Norwegen" 
"Speisen und Verzehr im Märchen", Martin Baier 
"Märchen", Friedrich Panzer, In: Deutsche Volkskunde 
"Psychologie des Märchens" in "Märchenforschung und Tiefenpsychologie" Hg. v. W. Laiblin 
"Märchenforschung" Kathrin Pöge-Alder
"Europäische Esskultur", Gunther Hirschfelder 
"Es war einmal... Vom Wesen des Volksmärchens", Max Lüthi
"Der unwiderstehliche Geschmack von Menschenfleisch: Eine Anthologie zu Menschenfressern und Kannibalismus", Gereon Janzing
"Hexen und Magie", Johannes Dillinger
"Die ursprünglichen Märchen der Brüder Grimm. Die wahren Geschichten neu entdeckt." Kurt Derungs
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