Kampf gegen böse Mächte - Prinzipien der Volksmedizin

Prinzipien in der norwegischen Volksmedizin

So unrationell, wie die Volksmedizin häufig zu sein scheint, ist es nicht verwunderlich, dass die Behandlung selbst eine völlig andere Rolle spielte, als wir es heute gewohnt sind. Heute ist die Therapie die Hauptsache: die Krankheit soll beendet werden. In der Volksmedizin war es wichtiger, der Krankheitsursache auf den Grund zu gehen – wer oder was hatte die Plagen erschaffen, denn Krankheit war ja ein Resultat des Wirkens böser Mächte. Diese zu entlarven und zu bezwingen sollte dazu führen, dass auch die Krankheit vorüber ging. Die „Diagnose“ war also in der Realität das Gleiche wie die Behandlung.

Zu „Heilen“ war darum nicht eine Sache für jedermann. Es setzte voraus, dass man nicht nur in der vielfältigen Welt der Kräuter  bewandert war, sondern auch magische Fähigkeiten besaß. Man musste das, was die bösen Mächte konnten, ebenfalls beherrschen, sozusagen in deren Rolle schlüpfen – um eine Umkehr des Krankheitsverlaufs zu Gunsten des Kranken zu bewirken. Die, die diese Fähigkeiten besaßen, waren Leute, die „mehr konnten als ihr Vaterunser“, und der Ausdruck: „Böses soll Böses vertreiben“ war für sie etwas mehr als nur ein Sprichwort, so wie es heute gesagt wird, halb im Spaß, ohne Bedeutung. Viele führten das Wissen der Vorfahren weiter und meinten, sie besäßen von Geburt an übernatürliche Fähigkeiten.

Der Heilungsprozess war ein Kampf, eine Austreibung mit Macht, eine Fesselung der Dämonen mit Hilfe von Beschwörungen, der Begriff „bot“ (in der Bedeutung von „Heilung“) hieß z. B. im Mittelhochdeutschen „buoze“, was „Zaubermittel“ bedeutet. Die bösen Mächte mussten angerufen werden, ein Dialog in Gang gesetzt und alle Namen der Krankheit in diesem Prozess genannt werden, (z. B. alle Arten der „Schwäche“), um sicher zu gehen, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind.
Manches Mal redete man mit schmeichelnden Worten, um die bösen Mächte zu bewegen, freiwillig zu gehen. Der Name des Kranken musste genannt werden, damit die Handlung am korrekten Ort stattfand. 
Oft wurde die Krankheit auch an einen bestimmten Ort verwiesen („til en skog der ingen bor, til et vann der ingen ror“ - „in einen Wald, wo niemand wohnt, zu einem Gewässer, auf dem niemand rudert“, usw.), wo sie keinen Schaden anrichten konnte. Auf diese Weise wurde die Formel zu einem Befehl, der sich direkt gegen die Macht richtete, die vertrieben werden sollte.

Ein wichtiges Prinzip in der Volksmedizin war, dass „der Arzt“ nicht sich selbst oder seine Familie behandeln konnte, was mit der allgemeinen Auffassung von Krankheitsursachen zusammenhing, derzufolge möglicherweise ein verstorbener Verwandter jemanden mit sich ins Totenreich nehmen wollte.

Mit dem Unglück immer verbunden ist die Dunkelheit, denn dann trieben die bösen Mächte frei ihr Spiel mit den Menschen. Darum waren Heilmittel am wirksamsten in Zeiten der Dämmerung, wo man sozusagen die dunklen Mächte auf dem Heimweg traf, ob das nun für das Sammeln von Heilkräutern galt oder für die Zubereitung von Salben und Medikamenten.
Nicht nur die Tageszeit hatte Bedeutung in der Volksmedizin, sondern auch der Wochentag. Besonders der Donnerstag wurde als wichtiger Tag zur Ausführung von Behandlungen betrachtet und das, was an drei aufeinander folgenden Donnerstagabenden ausgeführt wurde, war besonders effektiv.
Bestimmten Feiertagen wurden ebenfalls besondere Heilkräfte nachgesagt, wie Karfreitag, die Johannisnacht und Heiligabend.

Der Norden war natürlich die Himmelsrichtung, in der man die Dunkelheit und Heimat der bösen Mächte verortete. Spuren dieses Glaubens findet man noch in einigen der sehr alten Kirchen. Die Nordwand ist häufig ohne Fenster, nicht nur, um den Zug abzuhalten, sondern auch die dunklen Mächte. Folglich glaubte man, dass die Krankheit aus dem Norden gesandt wurde und die Behandlung konnte darin bestehen, sie dorthin zurück zu senden, wo sie herkam, etwa indem man in Richtung Norden fließendes Wasser benutzte oder Moos, welches auf der Nordseite der Bäume wuchs.

In der Volksmedizin wurde das Seltene und Ungewöhnliche immer als stärkeres und wirksameres Heilmittel betrachtet als das Gewöhnliche, welches überall zu finden war. Darum sollte der Fundort der Heilmittel auch ein besonderer sein. Erde oder Dinge – besonders Metallgegenstände – die in der Erde gefunden wurden, hatten in der Regel eine große Anwendungsbreite, wahrscheinlich, weil man eine direkte Verbindung sah zwischen der Erde und dem Tod. In der heidnischen Sagazeit hatte z. B. Erde von Grabhügeln die gleiche Bedeutung wie die Friedhofserde in späterer christlicher Zeit.
Gegenstände, die an Kreuzwegen gefunden wurden, Dinge, die vom Menschen unberührt waren u. ä. wurden ebenfalls als ungewöhnlich aufgefasst und waren deshalb für die Auffassung der besonderen Kraft der Heilmittel von Bedeutung.

Man dachte sich die böse, krankeitsverursachende Welt als ein umgekehrtes Spiegelbild der eigenen menschlichen Gesellschaft. Die magischen Kuren sollten daher entgegengesetzt zu den normalen ausgeführt werden, z. B. bei Bewegungen entgegengesetzt dem Verlauf der Sonne. Es sollte ausschließlich die linke Hand benutzt werden, wenn man die magischen Handlungen ausführte.
Auch das Rückwärtslesen des Vaterunser wurde als starkes Mittel angesehen oder sich hinunter beugend durch die Beine hinter sich zu sehen sollte angeblich Einblick in viele verborgene Geheimnisse gewähren.

Es lassen sich verschiedene solcher Prinzipien benennen, wie z. B. eine Kur fastend auszuführen oder ohne zu sprechen, etwas zu benutzen, das gestohlen wurde oder mit einem Todesfall verbunden war usw.. Alle zusammen sind Beispiele dafür, wie das Ungewöhnliche, das, was in der Auffassung des Volkes von alltäglichen Handlungen abwich, überhöht werden konnte, magische Eigenschaften und Kräfte zu haben und damit nützliche Gegenmittel zu sein im hilflosen Kampf gegen die bösen Mächte und deren angebliche Urheberschaft von Krankheit, Schmerz und Tod.

Quelle: Per Holck, "Norsk Folkemedisin - Kloke koner, urtekurer og magi", (S. 40-42), J.W.Cappelens Forlag: 1996

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